Das NRW-Stipendium
Aktuelles
Im Herbst 2020 erhielt ich vom Land NRW innerhalb der Corono-Soforthilfe ein Stipendium für eine Recherche,
welche Wege ich mit meinem Theater, das zum allergrößten Teil Stücke anbietet, die sehr nah am Publikum sind, zukünftigt gehen kann.
Dafür bin ich sehr dankbar und habe mich in den letzten 8 Monaten intensiv mit neuen Ideen und Stückentwicklungen beschäftigt.
An dieser Stelle finden Sie Auszüge aus dem Sachbericht, den ich für das Land anfertigen musste und auch erste Informationen dazu,
welche neuen Produktionen in der 2. Jahreshälfte 2021 bzw. im Jahre 2022 vom Tehater Töfte zu erwarten sind.
Ich freue mich darauf!
Durch die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie haben sich für mich und meine Theaterarbeit erhebliche Änderungen ergeben. Neben dem kulturellen Lockdown, der die gesamte Kunstszene gelähmt hat, muss ich für mich den bisher gültigen Entwurf meiner Theaterarbeit überdenken und die Form meiner Spielweise und Stückentwicklung in Frage stellen. Ich habe das vom Land NRW bewilligte Stipendium genutzt, um mir über diesen Paradigmenwechsel Klarheit verschaffen zu können und zukünftige, neue Strategien zu denken und zu vervollkommnen.
Seit nunmehr 37 Jahren entwickle und spiele ich Theaterstücke für Kinder, Jugendliche und Erwachsenen, die eine Mischung aus Schauspiel und Figurenspiel sind und in der durch ein Wechselspiel von festen und offenen Dramaturgien dem Publikum die Möglichkeit gegeben wird, gestalterisch in die Handlung einzugreifen und somit Einfluss auf den Ablauf des Stückes zu nehmen. Nahezu alle Stücke leben davon, dass Menschen aus dem Publikum von mir kostümiert werden, mit mir auf der Bühne spielen, musizieren und sogar Figuren führen. Genauso gibt es immer wieder Szenen, in denen ich als Spieler im Publikum agiere.
Dieses Spielkonzept, das eindeutig mit der sogenannten „Vierten Wand“ bricht, ist für mich kein Selbstzweck oder Haschen nach Effekten sondern wesentlicher und unabdingbarer Bestandteil meiner Theaterarbeit. Mein Selbstverständnis als Freier Professioneller Theatermacher, in einer Szene, die Anfang der 70er Jahre mit unkonventionellen Konzepten einen Gegenentwurf zum etablierten Theater erarbeitete, war immer darauf ausgerichtet, Theater an Orten und mit Menschen außerhalb der konventionellen Spielstätten zu gestalten. Das normalerweise passiv zuschauende Publikum soll aktiver Bestandteil der Inszenierung werden und in Momenten gleichberechtigt am Wesen oder am Ausgang des Stückes beteiligt sein.
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Nach dem ersten Spielverbot Anfang 2020 wurden im Sommer wieder einige kulturelle Veranstaltungen möglich. Schnell zeigte sich, dass ich in meinem Repertoire kein Stück hatte, das „coronagerecht“ aufgeführt werden konnte. Ich arbeitete dann für Kinder die Stücke „Das Elefantenkind“, „Der Froschkönig“ und „Schneewittchen und die Sieben Zwerge“ so um, dass ich sie verantwortungsvoll vor Publikum spielen konnte. Für die beiden letztgenannten Märchen erfand ich mein „1. Königliches Fahrradtheater“ und „Das Elefantenkind“, das nur für Räume konzipiert war, baute ich so um, dass ich damit auch Open-Air spielen konnte. Ähnlich änderte ich den „Faust“, mein Abendprogramm, so dass ich dieses Stück ebenfalls im Freien, sogar bei Tageslicht, aufführen konnte. In allen Stücken verzichtete ich auf die gemeinsamen Elemente, die ich mit dem Publikum gestalte, wodurch sie sich dramaturgisch in eine völlig andere Richtung entwickelten. Durch intensives Umschreiben einzelner Passagen und deutliche Regieänderungen sind die Stücke zwar qualitativ weiterhin befriedigend, es fehlt aber, sowohl mir, als auch dem Publikum das mich seit Jahrzehnten kennt, das besondere Markenzeichen meiner Arbeit.
Hinzu kommt, dass drei Stücke wirtschaftlich nicht ausreichen um mich und das Theater am Leben zu halten. Den größten Anteil an Buchungen machten in den vorherigen Jahren die Stücke „Ritterhelmpflicht für kleine Drachen“, „Das Kamel aus dem Fingerhut“, „Froschkapelle in letzter Minute“ und vor allem „Weihnachten auf dem Leuchtturm“ aus und alle diese Inszenierungen können ohne die o.g. Gestaltungsmittel nicht gespielt werden. Fallen diese Mittel weg, sind die einzelnen Stücke nur noch wenige Minuten lang und dramaturgisch völlig unsinnig.
Als mir im Herbst 2020 dieses Stipendium bewilligt wurde, nutzte ich die Gelegenheit, eine Strategie auszuarbeiten, wie ich meine künstlerische Zukunft gestalten kann. In Gesprächen mit Künstler:innen und vor allem mit Veranstalter:innen wurde deutlich, dass meine Art des Theaters perspektivisch nicht gebucht und gezeigt werden kann. Weil eines meiner finanziellen Standbeine Auftritte in Grund- und weiterführenden Schulen sind, verabredete ich mich mit Lehrer:innen um im Gespräch herauszufinden wie ihre aktuellen Erwartungen und Wünsche an ein Theater sind.
Natürlich waren all diese Gespräche mit Unsicherheiten belastet, wusste doch niemand wie die Situation sich entwickeln würde. Als ich mich Ende September mit der Rektorin einer Grundschule in Melle verabredete, war es mir z.B. nicht erlaubt als „Schulgast“ einen Klassenraum zu betreten, mit den Schüler:innen zu sprechen und diese durften an jenen Tagen nur in „Kohorten“ lernen oder in die Pausen gehen.
Inzwischen hatte sich der Trend etabliert, dass sowohl Freie als auch institutionelle Theater verstärkt „Klassenraumstücke“ in ihr Repertoire aufnahmen und anboten. Auch die gängigen Theaterverlage bewarben gezielt und offensiv ihre Stückvorlagen. Für die Meller Rektorin war ein solches Angebot eine mögliche Option und wir besprachen, wo und in welcher Form ein solches Theater in der Schule seinen Platz finden könnte. Sie wünschte sich z.B. eine thematische Unterstützung für Unterrichtsinhalte, ich argumentierte, dass Theater, wie alle anderen Künste auch, eine eigene ästhetische Kraft haben, die unabhängig von Inhalten eine Berechtigung, auch und gerade an der Schule, haben. Ich habe immer Befürchtungen, dass unsere Kunstform instrumentalisiert wird, kämpft man als Figurenspieler doch sein Leben lang gegen das Image des „Verkehrskaspers“, der erst nach links und dann nach rechts schaut, an. Das soll nicht überheblich klingen, aber Theater, Musik, Literatur, Malerei etc. können, gerade im Schulalltag, einen emotionalen und phantasievollen Raum öffnen und künstlerisches Empfinden, Entdecken und Erfahren bieten, ohne gleich weltliches Wissen zu vermitteln oder primär in einen pädagogischen Auftrag eingebettet zu sein.
Aus ihrem Unterricht erzählte sie mir einige Beispiele, wie sie mit den Schüler:innen Zeitreisen unternimmt z.B. zum Thema Musik, um spielerisch klassische oder moderne Musik erfahrbar zu machen, oder zum Thema Technik, wie wurde früher ohne Smartphone kommuniziert etc.. Ich merkte, wie mich das Gespräch und vor allem die Form der Zeitreise immer mehr begeisterte, wir spielten uns thematische und ästhetische Bälle zu und verabredeten, dass ich an mehreren Vormittagen die Möglichkeit hätte, mit Schüler:innen der einzelnen Klassen kurze theatralische Einheiten zu gestalten um mit ihnen über so eine „Zeitreise“ ins Gespräch zu kommen und somit ihre Wünsche näher kennenzulernen.
Inspiriert überlegte ich ein Konzept und stellte mir Fragen:
Wie kann ich mit den Mitteln des Figuren- und Objekttheaters eine Begegnung im Klassenraum so umsetzen, dass sie überraschend und unvorhersehbar und vor allem mehr ist, als nur eine bebilderte Schulstunde?
Welche Themen wären mir wichtig?
Wie schaffe ich es trotz der Umgebung, Klassenraum in einer Schule, ein „Theaterfeeling“ zu erzeugen?
Wie verträgt sich mein Wunsch nach emotionaler Tiefe und Freiheit mit dem „Lehrplan“?
Wohin führen Zeitreisen und was ist das überhaupt die „Zeit“? Müssen es immer Epochen sein oder ist eine Reise in die vorherige Woche, dem letzten Tag oder der gerade abgelaufenen Minute nicht auch schon eine Zeitreise?
Wer macht überhaupt eine Zeitreise? Welche Figuren stelle ich mir vor?
Aber auch:
Wie weit plane ich schon gestalterisches Mittun der Schüler:innen oder sollte ich das wg. der unklaren Corona-Lage noch außen vor lassen?
etc..
Ich recherchierte nach Büchern und Filmen, die das Thema Zeitreise oder Zeit beinhalteten und erstellte Listen mit Themen, die ich bildlich machen wollte. Dabei wurde schnell klar, dass ich nicht alleine als „Ersatzlehrer“ vor einer Klasse stehen wollte sondern ein oder zwei Protagonist:innen bräuchte, die ein Eigenleben führen.
Mit der Figurenbauerin Maud Schröerlücke entwickelte ich die Charaktere „Professor Da Vinci, genannt Winni, eine Schildkröte und Frau Dr. Sonnenblick, genannt Sunny, eine agile Füchsin. Diese würden mich und das Publikum in die Welten und Zeiten mitnehmen und zurückbringen. Dazu braucht es eine verlässliche Rahmenhandlung, vielleicht Musik, Lieder und vor allem je nach Thema viel verblüffendes Material und Objekte. Und das alles muss klein und transportabel werden, denn ich baue ja kein Theater mit Bühne und Licht auf sondern muss im Klassenraum meinen Platz finden.
Nach diesen ersten Vorbereitungen konnten leider keine Termine in der Schule stattfinden, da es die geltenden Corona-Vorsichtsmaßnahmen nicht zuließen. So kam es im Jahr 2020 zu keinen Probevorstellungen bzw. Arbeitstreffen mit Lehrer:innen und Schüler:innen.
Aber, ich habe die Zeit genutzt, die Vorbereitungen sind getroffen. Die Schildkröte ist spielfertig, die Füchsin kurz davor, es gibt erste Requisiten, einen Zeitreise-Roller, ein Kostüm für mich und erste Themen sind angedacht, „Die Geschichte der Farben“ - „Die Geschichte der Kleidung“ - „Schöpfungsgeschichten aus verschiedenen Erdteilen“, die ich mit den Schüler:innen, nach den Sommerferien 2021 ausprobieren möchte.
Parallel dazu habe ich für mein Stück „engel mit nur einem flügel“, das das Schicksal eines jüdischen Jungen während der Kriegsjahre zum Thema hat, ebenfalls als Klassenraumstück eingerichtet, sodass ich nach den Sommerferien sowohl für die weiterführenden Schulen als auch für die Grundschulen Angebote machen kann.
Durch die unbeständige Situation im Jahre 2021, in der die Schulen über einen langen Zeitraum geschlossen waren oder nur mit täglich wechselnden Schüler:innen unterrichten durften und in der über 5 Monate keine Kultur stattfinden konnte, gestaltete sich ein kontinuierliches Arbeiten an meinen Projekten schwierig. Trotzdem habe ich für mich, ausgelöst durch das Stipendium, einen guten Schritt in eine neue, hoffnungsvolle Richtung getan und freue ich mich, mit den neuen Ideen und in alter Freude vor mein Publikum zu treten.